Von Jörg Diehl
Bonn. Harald M. ist tot. Bei einem Autounfall gestorben. Mit 42 Jahren. Ganz plötzlich – mitten aus dem Leben gerissen. Ehefrau Anna und die beiden Töchter Jasmin und Christina sind verzweifelt, fühlen sich alleine. Alles hat sich verändert – mit einem einzigen, schrecklichen Schlag: Ihr Mann und Vater lebt nicht mehr. Was nun, was außer Trauer? Jochen Jülicher kennt solche Momente. Der Bonner Diplom-Theologe arbeitet als selbstständiger Trauerberater und Trauerbegleiter.
Er sagt: „Trauer ist keine Krankheit, Trauer ist die Patin eines jeden Abschieds. Sie ist die natürliche Reaktion auf einen jeden Verlust.“ Jülicher spricht mit sanfter, klarer Stimme. Der kräftige Mann mit dem Vollbart strahlt Ruhe aus, vielleicht sogar Weisheit. Er hört geduldig zu, ist interessiert und betroffen ohne aufdringlich zu sein.
Die Familie erzählt von ihrem „Harry“: Von seinen Lausbubenstreichen in der Kindheit, seinem beruflichen Werdegang als Malermeister, von Harry, dem einfühlsamen Ehemann und verlässlichen Kameraden. „Sterben gehört zum Leben und es macht keinen Sinn, die Augen zu verschließen und die Trauer zu verdrängen“, sagt Jülicher später. Gemeinsam mit den Angehörigen gestaltet der Theologe die Trauerzeremonie, wählt Texte und Musik aus, schreibt eine ganz persönliche Trauerrede und ist für die Verwandten des Verstorbenen da. „Trauernde brauchchen Nähe. Wenn jemand um einen Menschen trauert, ist plötzlich alles verrückt. Nichts hat mehr seinen Platz. In der Trauer ist das Chaos ganz normal. Man muss sich neu ordnen.“
Jochen Jülicher ist ein ungewöhnlicher Mensch. Germanistik und Pädagogik hat er studiert, war mehrere Jahre lang Gymnasiallehrer in Düsseldorf. Dann zog es ihn in die Niederlande, wo er katholische Theologie studierte und zum Priester geweiht wurde. Doch in seinem Beruf als Krankenhausseelsorger fühlte er sich nicht wohl, lernte zudem seine Freundin kennen. Aus dem Priesteramt schied er deshalb aus. Seit 1998 gestaltet er nun als freier Theologe Hochzeiten, Taufen und Trauerfeiern. „Immer mehr Menschen sagen sich von der Kirche los. Doch dann wissen die meisten nicht mehr, wohin mit ihrem Bedürfnis nach Religiosität. Sie werden seelisch heimatlos, sie suchen nach mehr“, erklärt Jülicher. Für diese Menschen will der Bonner da sein. Persönlich, in Seminaren, aber auch in seinen Büchern. „Trauern macht Sinn, die Menschen können daran wachsen. Bei Lady Di hat man es gesehen. Wir haben alle ein Bedürfnis zu trauern. Doch leider wird das allzu oft verdrängt.“
Jochen Jülicher – 14 Stunden Arbeit am Tag an sechs Tagen der Woche sind für ihn keine Seltenheit. Der Verdienst ist nicht groß und die seelische Beanspruchung enorm. „Ich habe meine Berufung gefunden und gehe gerne mit Trauernden um. Sie haben etwas verloren und deshalb wissen sie, was im Leben wirklich wichtig ist. Ihnen kann man nichts mehr vormachen. Trauernde sind auf Echtheit aus.“
Jochen Jülicher muss weg. Zu einer Bestattung. Er lächelt zum Abschied.
Quelle: Rheinische Post, 18.11.2000
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