„Der Mensch hat ein Bedürfnis nach Riten“

Von Berit Keiser

Eine kurze Ansprache des Standesbeeamten, und das war’s. Vielen Brautpaaren ist das nicht genug, sie wünschen es sich ein wenig feierlicher, denn schließlich heiratet man nicht alle Tage. Und schön ist es ja schon, wenn die Glocken läuten und die Orgel spielt, so herzergreifend. Paare, die nicht oder nicht mehr Mitglied der Kirchen sind oder denen die katholische Kirche bei einer Wiederheirat nach einer Scheidung den Segen verweigert, müssen auf eine festliche Zeremonie jedoch nicht verzichten. Jochen Jülicher bietet sich an, sie zu gestalten.

Der katholische Theologe hat sich vor zwei Jahren selbstständig gemacht und organisiert von seinem Büro auf dem Brüser Berg aus Hochzeitsfeiern nach persönlichen Wünschen. Ob das Brautpaar auf dem Petersberg feiern will, in der Lieblingsgaststätte oder bei sich zu Hause, Jochen Jülicher kommt an den gewüschten Ort. Nur in der Kirche tritt der 45jährige nicht mehr in Aktion, seitdem er sich vom Priestertum verabschiedet hat.

„Die Menschen haben ein großes Bedürfnis nach Riten, nach Symbolhandlungen, auch wenn sie nicht in der Kirche sind“, weiß der Theologe aus Erfahrung. Rituale ohne Religionsgemeinschaft – für Jülicher kein Widerspruch. „Rituale sind kulturell gewachsen, die Kirche hat kein Recht darauf, sie allein für sich in Anspruch zu nehmen.“ Symbolische Hand- lungen spielen in seinen Feiern eine große Rolle; mit ihnen soll das Paar seine Liebe besiegeln. Beispielsweise zünden Braut und Bräutigam als erste gemeinsame Handlung nach dem Jawort ihre Hochzeitskerze an, die auf dem geschmückten Tisch steht. Mit einer Schiffsglocke läutet Jülicher anschließend den gemeinsamen Weg des Paares ein.

Im Zentrum der Zeremonie steht das Eheversprechen: Dabei sind die Partner völlig frei, was sie sich vor ihren Gästen zusagen. Bei der Formulierung ist ihnen Jülicher behilflich. Er erarbeitet in mindestens zwei Vorgesprächen mit dem Paar den Ablauf der Feier. Dabei macht er sie auf Fragen aufmerksam wie „Was erwarten wir von uns gegenseitig?“ oder „Wo sind wir uns ähnlich, wo unterscheiden wir uns?“.

Ein Sakrament, als das die katholische Kirche die Trauung versteht, ist die Handlung, die der Freiberufler vollzieht, freilich nicht. Ein festlicher Akt ist ihm dennoch wichtig. „Die Paare wollen ihre Liebe feiern, und Liebe ist etwas Göttliches, etwas Transzendentes“, meint Jülicher.

Für die Vorbereitung seiner Ansprache an die Festgemeinschaft dient Jülicher nicht allein sein Theologiestudium, das er mit einer Ausbildung zum Krankenhausseelsorger noch erweiterte. Auch sein Germanistik- und Pädagogikstudium sowie seine Tätigkeit als Lehrer helfen ihm dabei, passende Worte und Texte für die Lesung zu finden. Denn auch die gehören zur Feier dazu – wenn auch nicht von der Kanzel. Bei solch einer nichtkirchlichen Zeremonie greift er meist nicht zu Bibeltexten. Das „Hohelied auf die Liebe“ aus dem Korintherbrief allerdings sei schon beliebt; auch Passagen aus Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ würden häufig gewünscht.

Die Worte sollen das Paar ansprechen; Jülicher sieht seine Aufgabe darin, die Partner bei der „kritischen Phase“ der Eheschließung zu begleiten. Die Eheleute schätzen das, zu vielen hat er noch immer Kontakt. So bat ihn ein Paar, noch einmal zu agieren und für seine Kinder eine Begrüßungsfeier zu gestalten.

500 Mark nimmt Jülicher für eine Hochzeitsfeier, dazu kommen Kosten für die Vorgespräche. Seine Dienste als „Kommerziell“ zu bezeichnen, liegt ihm fern. „Ich bin mit Leib und Seele Seelsorger“, so Jülicher, der nicht nur auf Hochzeiten präsent ist. Auch bei Beerdigungen hält er Ansprachen und gestaltet die Trauerfeier. Die Begleitung der Trauernden ist ihm dabei besonders wichtig. „Die Leute brauchen den Beistand und keine Belehrungen, wie die Kirche sie ihnen häufig gibt“, meint der Theologe.

Ausgetreten ist Jochen Jülicher noch nicht, „schließlich habe ich mich mehr als 20 Jahre lang für die Kirche eingesetzt, und ich habe Respekt vor dem, was in ihr gewachsen ist.“ Doch so, wie er jetzt als freiberuflicher Theologe arbeitet, habe er sehr viel mehr Freiheiten. Sein neuer Beruf sei seine Berufung.

Quelle: Bonner Generalanzeiger