„Worte, die zählen“

Von Bianca Pohlmann

Bonn. Mal eben zwischendurch gibt es bei ihm nicht. Für ein Gespräch nimmt sich Jochen Jülicher Zeit – das bringt sein Beruf mit sich. Im Arbeitszimmer vermitteln gemütliche Möbel eine Atmosphäre der Geborgenheit, die Kerze auf dem Tisch strahlt Ruhe aus. Zuhören und die richtigen Worte finden, das ist dem freien Theologen wichtig, dafür muss die Umgebung stimmen – egal ob er Trauernden beisteht, mit angehenden Brautpaaren die Hochzeit plant – oder eben ein Interview gibt. Dabei ist es nicht leicht, einen Termin für Letzteres zu finden. Der 50-jährige Freiberufler hat viel zu tun. Rund 200 Trauerfeiern und 40 Hochzeiten füllten und füllen in diesem Jahr seinen Terminkalender. Und die Nachfrage nach dem „Pastor der Heimatlosen“, wie er sich selbst mit einem verschmitzten Lächeln beschreibt, ist steigend. Er wagt sogar eine weitreichende Prognose: „In zehn bis 15 Jahren werden nichtkirchliche Hochzeiten und Beerdigungen der Normalfall werden.“

„Der liebe Gott ist auch schon ausgetreten“

Die Zahlen sind nicht von der Hand zu weisen: Im Jahr 2002 traten in NRW mehr als 68000 Menschen aus der evangelischen und der katholischen Kirche aus. Nur rund 25000 Trauungen wurden vor dem gleichnamigen Altar in einem Gotteshaus geschlossen. Zwar sinkt die Zahl der Eheschließungen generell, aber die Männer und Frauen, die sich trauen, haben sich mit der Zeit auch verändert. Sie werden nicht nur immer älter, bevor sie Ringe tauschen. Im Jahr 2003 hatten von etwa 175000 Brautleuten in NRW immerhin 46000 schon eine Ehe hinter sich. Erneutes Ja-Wort in festlichem Rahmen ausgeschlossen?

„Kirche und Glaube sind nicht identisch“, ist Jochen Jülicher überzeugt. Oder anders gesagt: „Alles, was in Liebe geschieht, zählt beim lieben Gott.“ Der Bonner Theologe lebt nach dieser Überzeugung. Der gebürtige Düsseldorfer, der zuerst Germanistik und Pädagogik studierte und als Lehrer an 1978 Deutsch in den Niederlanden unterrichtete, fand dort zu seinem Glauben. In Holland erlebte er „Kirche als Gemeinschaft“. Er begann in den Abendstunden ein zweites Studium – Tehologie an der katholischen Universität Tilburg/Nijmegen. 1992 wurde Jochen Jülicher zum Priester geweiht. Als Krankenhausseelsorger ging er nach Bonn. Dort geriet er nach vier Jahren in eine tiefe Krise, fühlte sich in der großen Kirche nur noch als Einzelkämpfer, allein-gelassen. Dann lernte er eine Frau kennen. „Da hatte Gott seine Hand im Spiel“, glaubt Jülicher fest. Ein halbes Jahr verheimlichten die beiden ihre Beziehung. „Ich war hoch verzweifelt“, beschreibt er diese Phase, aus der es für ihn nur einen Weg gab: Er „outete“ sich, trat aus der Gemeinschaft aus. „Seitdem kann ich wieder glauben“, sagt er heute. 1996 aber begann erst einmal eine schwere Zeit. Taxifahren, Pizza backen – was sollte er tun? Der Zufall – oder eben Gottes Hand – lieferte einen überraschenden Ausweg. Ein Bestattungsinstitut in Bergisch Gladbach suchte einen Trauerredner. Jülicher schrieb zudem ein Buch über Trauerbegleitung. Dann nahm ihn ein Kollege mit zu einer frei gestalteten Hochzeitsfeier. „Das ist klasse, das mache ich auch“, beschloss er als freiberuflicher Theologe.
„Es ist nicht einfach nur ein Job. Ich habe mit Menschen in Übergangssituationen zu tun – in weiß und schwarz“, ist sich der Theologe der Verantwortung bewusst. Gerade deshalb ist es ihm – wie auch seinen Kollegen im Arbeitskreis freier Theologen (siehe Kasten) – so wichtig, eine seelsorgerische und psychologische Ausbildung zu haben. Immer wieder erlebt Jochen Jülicher, dass Leute ihn anrufen, fragen, wie das gehe, weil sie eine „schnelle Mark“ machen wollen. Sie sehen nur: Ein einmaliges Trauerbegleitungsgespräch kostet bei Jülicher 50 Euro, eine Hochzeitszeremonie immerhin 385 Euro. Doch die Ausbildung ist für den Theologen grundlegend. Dazu kommen Gespühr für Menschen und Situationen, für Bedürfnisse und auch für den Glauben. Und die Gabe, Gefühle in Worte zu fassen. Der größte Teil der Menschen, die zu ihm kommen, haben noch einen Glauben, aber keinen Anschluss mehr an die Kirche. „Manche zahlen nur noch Kirchensteuer, mehr Bindung gibt es nicht.“ Denen will Jülicher eine konfessionsfreie, nicht-lose Alternative bieten. „Der liebe Gott ist auch schon ausgetreten“, sagt er dann gerne in seiner rheinischen Art.

Büro-Gemeinschaft Seelsorge

Vor allem, so Jülicher, reiche es nicht, „wenn man irgendetwas daher plappert“. Vielmehr würden viele seiner „Kunden“ Begleitung brauchen, auch nach den Festlichkeiten noch den Kontakt pflegen. Sein Angebot hat er deshalb erweitert, für Ehepaare bietet er beispielsweise auch Paargespräche an. Im kommenden Jahr lädt er seine ehemaligen Brautpaare zu einem Seminar ein, das er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, einer Familientherapeutin, vorbereitet. „All you need is love?“ soll es heißen und auffrischen, was im Alltag oft unterzugehen dohrt. Doch langsam braucht er Unterstützung, weil ihm die Nachfrage manchmal über den Kopf zu wachsen droht. An der Uni Bonn versucht er junge Theologen für die Aufgabe zu gewinnen. Damit wäre Jülicher einem Traum einen Schritt näher: Einmal ein Seelsorge-Büro mit bis zu drei Mitarbeitern zu führen. Weitere Informationen unter www.die-feier.de

Quelle: NRZ

 

 

Schutz vor schwarzen Schafen

Wo Geld verdient werden kann, wird schnell Schindluder betrieben. Um sich von „schwarzen Schafen“ abzuheben und ein Qualitätsmerkmal vorweisen zu könnne, haben sich freie Theologen, die Trauungen anbieten, in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Zwischen Stade und Tübingen zählt sie derzeit 14 Mitglieder. In Nordrhein-Westfalen gehöfen neben Jochen Jülicher der Duisburger Pastor Volker Gundlach und die Diplom-Theologin Marion Kose aus Dülmen dazu. Alle Mitglieder haben ein theologisches Studium oder kommen aus langjähriger kirchlicher Praxis. Sie arbeiten kirchenunabhängig und sind keine Pfarrer. Zu ihren Grundsätzen gehören beispielsweise mindestens drei Jahre Erfahrung als freier Theologe, Offenheit für eine Zusammenarbeit mit allen religiösen Traditionen. Sie leben von Honoraren, nicht von kirchensteuerlichen Mitteln. Weiter Informationen unter www.freie-theologen.de